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24. April 2024 | 07:00 Uhr
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Dem Wildwuchs an Nachhaltigkeitssiegeln Einhalt bieten

Die Fülle an Nachhaltigkeitssiegeln in der Hotellerie hat ein unüberschaubares Maß angenommen. Selbst Fachleute kapitulieren inzwischen vor dem Wust an Zertifikaten. Gabriel Laeis, Professor für Hospitality (Foto), warnt im Interview mit Hotel vor9, blauäugig bei der Wahl der Siegel vorzugehen. Schon in Kürze werde Greenwashing im Tourismus strafbar sein. 

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Gabriel Laeis ist Professor für Hospitality and Culinary Management an der IU Internationalen Hochschule in Erfurt

Herr Laeis, Sie haben sich einen Überblick über die Vielfalt Nachhaltigkeitssiegeln für die Hotellerie verschafft. Einfache Frage: Wie viele dieser Zertifikate gibt es überhaupt?

Professor Gabriel Laeis: Es ist schwierig genaue Zahlen zu nennen, da es für Deutschland, Österreich und die Schweiz keine offizielle Meldestelle gibt, welche die Anzahl der Siegel oder Zertifikate registriert. Ebenso problematisch ist, dass in den besagten Ländern bisher nicht klar festgelegt wurde, welche Voraussetzungen ein touristischer Betrieb erfüllen muss, um als nachhaltig zu gelten. Es fehlt dementsprechend an einer exakten Definition, die genau vorgibt, wann ein Nachhaltigkeitssiegel bzw. Zertifikat Gültigkeit besitzt. Ich veranschauliche diese Problematik an einem Beispiel: Kann ein Hotel sich als nachhaltig vermarkten, nur weil es das Toilettenpapier über einen klimaneutralen Lieferprozess bezieht oder bedarf es hier einer ganzheitlichen Begutachtung aller Hotelprozesse?

Welche weiteren Schwierigkeiten gibt es?

Es muss bedacht werden, dass sich nicht hinter jedem Nachhaltigkeitslogo ein glaubwürdiges und von unabhängigen Stellen geprüftes Zertifikat verbirgt. Für Verbraucher ist oftmals nicht ersichtlich, ob es sich bei einem grünen Logo nur um eine Auszeichnung oder tatsächlich um eine Zertifizierung handelt, bei der eine unabhängige Prüfstelle die Einhaltung der Anforderungen eines Nachhaltigkeitssiegels durch ein Unternehmen kontrolliert. Bestes Beispiel hierfür ist das Green Leaf von Guide Michelin für nachhaltige Restaurants, welches bestenfalls als eine subjektive Bewertung anzusehen ist. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem EU-Bio-Siegel um ein Nachhaltigkeitszertifikat im oben erwähnten Sinne.

Können Sie trotzdem eine Größenordnung nennen, wie viele Siegel es mutmaßlich gibt?

Laut dem Ecolabel Index, dem weltweit größten Verzeichnis für Umweltsiegel, gibt es derzeit global betrachtet 456 registrierte Ökozertifikate in 199 Ländern und 25 Branchen. Für den europäischen Raum werden, gemäß Index, 231 solcher Ökolabels gezählt. Das Schwierige an der Sache ist, wie bereits angesprochen, dass der Index keine genaue Definition beinhaltet, was unter den Begriffen "eco" und "label" zu verstehen ist. Im Rahmen des Index gibt es Labels, welche europaweit Anwendung finden und spezifisch die Hotellerie und Touristik betreffen, wie z.B. Greenglobe, Earth Check und Greenkey, aber auch Labels, welche nur für bestimmte Destinationen (beispielsweise Eco Certification Malta) oder Teile der touristischen Wertschöpfungskette – z.B. Bio-Siegel für Lebensmittel – relevant sind. Welche Kriterien und Indikatoren genau hinter den Siegeln stehen, durch welche Prozesse sie zertifiziert werden und inwiefern die Zertifizierer auch staatlich akkreditiert sein müssen, ist in den meisten Fällen nicht ersichtlich.

Lassen sich die Siegel denn Ihrer Meinung nach wenigstens hinsichtlich ihrer Qualität grob kategorisieren oder ist das schier unmöglich?

Eine Kategorisierung hinsichtlich der Qualität ist möglich. Der Globale Rat für nachhaltigen Tourismus (Global Sustainable Tourism Council, GSTC) ist eine NGO, welche versucht mittels global anerkannter Kriterien ein weltweit einheitliches Verständnis von nachhaltigem Tourismus zu schaffen. Der GSCT hat zu diesem Zweck für Hotels, Destinationen und Touristik-Unternehmen individuell in vier Bereichen rund 40 Kriterien, bestehend aus circa 160 Indikatoren, aufgestellt. Die bestehenden Zertifikate/Siegel werden vom Globalen Rat anerkannt, wenn die Kriterien des Zertifikats bzw. Siegels dem durch den GSTC gesetzten Mindeststandard entsprechen. Darüber hinaus gibt es die Bezeichnung GSTC "accredited". Damit ist gemeint, dass nicht nur die Kriterien bestehender Zertifikate/Siegel jenen des GSTC entsprechen, sondern auch der Zertifizierungsprozess dahinter nach international geltenden Standards für gute Zertifizierung abläuft. Nachhaltigkeitssiegel, welche vom GSTC akkreditiert sind, gelten als Gold-Standard. 

Und, welche erwähnenswerten Siegel erfüllen diesen hohen Standard?

Earth Check ist eines dieser wenigen Siegel, die dieser Zuweisung entsprechen. Geläufige Siegel, wie z.B. Green Key, Green Sign, Green Globe und Travellife, gelten hingegen "nur" als anerkannt.

Zuletzt gab es erste erfolgreiche Klagen gegen Tourismusunternehmen wegen des Vorwurfs des Greenwashings. Was kommt da noch auf die Branche zu?

Spätestens wenn die Green Claims Directive in die deutsche Gesetzgebung Eingang findet, wird es eine Rechtsgrundlage geben, auf der Greenwashing im Tourismus strafbar wird. Ob es tatsächlich vermehrt zu Anklagen kommt oder nicht, hängt sicherlich davon ab, wie gut die Gesetzesgrundlage ausgestaltet ist und kommuniziert wird und wie ernsthaft das Thema Nachhaltigkeit in den Chefetagen der Hotels, Reiseveranstalter, Destinationen etc. behandelt wird. Touristische Betriebe, die schon Earth Check Gold zertifiziert sind, müssen sich meiner Einschätzung nach keine Sorgen machen. 

Viele verschiedene Siegel sind längst in den Markt gedrückt. Lässt sich das System an Nachhaltigkeitssiegeln jetzt noch regulieren oder anpassen oder müsste eigentlich alles einmal auf null gesetzt werden?

Eine Regulierung bzw. Anpassung des Systems ließe sich durchführen, wenn wir eine gesetzlich verbindliche Grundlage hätten, was genau unter einem Nachhaltigkeitssiegel bzw. Zertifikat zu verstehen ist und welche Standards es beinhalten muss, respektive wie dessen Kennzeichnung gegenüber Konsumentinnen und Konsumenten ausgestaltet sein sollte. Die Green Claims Directive ist hier zumindest in Bezug auf die Auslobung ökologischer Nachhaltigkeit ein wichtiger Schritt. Ankreiden lässt sich in diesem Zusammenhang aber, dass die EU-Direktive soziale Nachhaltigkeit außen vor lässt.

Und was wäre, wenn am Ende nur ein einziges, dafür aber wirklich "nachhaltiges" Siegel übrig bliebe?

Meiner Einschätzung nach ist die Tourismusindustrie sowie das Thema Nachhaltigkeit zu groß und divers, um mit einem einzigen Siegel bedient zu werden. Viel wichtiger ist vorerst, dass dem Wildwuchs an Logos in allen möglichen Grünschattierungen Einhalt geboten wird.

Zur Person: Gabriel Laeis ist Professor für Hospitality and Culinary Management an der IU Internationalen Hochschule in Erfurt. 

Das Gespräch führte Pascal Brückmann

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