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25. März 2024 | 12:00 Uhr
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"Der Nachwuchs hat die falsche Einstellung zur Arbeit"

Nils Wend (Foto) ist Touristiker in Ostwestfalen und sitzt seit einem Jahrzehnt im Prüfungsausschuss der IHK. Nach seiner Erfahrung sind die Jungen nicht mehr bereit, die Extrameile zu gehen und steigen mit falschen Vorstellungen in den Job ein.

Wend Nils Foto Wend Urlaubsreisen

IHK-Prüfer Nils Wend sieht die Qualität der Ausbildung in Gefahr

"Bei den Auszubildenden hat sich generell etwas verändert, was schon bei der Qualität der Bewerbung anfängt. Da muss man als Arbeitgeber Abstriche machen", sagt Nils Wend, Inhaber von acht Reisebüros der Marke Wend Urlaubsreisen (WUR). Eine saubere und aussagekräftige Bewerbung sei eher eine Seltenheit als die Regel, teils müsse nach einem Schulzeugnis erst gefragt werden. "Verstehen Sie mich nicht falsch, es kommt am Ende natürlich auf den Menschen an und wie er tickt", sagt Wend. "Ein Einser-Abschluss bringt wenig, wenn man nicht das Naturell hat, um am Counter zu arbeiten." Auch sein Unternehmen akzeptiere mittlerweile Bewerbungen per Whatsapp, aber die Basisfakten zur Vita seien unverzichtbar.

Zudem berichtet der IHK-Prüfer, dass die jungen Leute nicht mehr bereit seien, "die Extrameile zu gehen". Wenn es etwa darum gehe, einen Termin wahrzunehmen oder eine Hausmesse zu besetzen, werde sofort nach einem Goodie oder Ausgleich gefragt. Das Motto "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" könne man getrost vergessen.

Keine Kritik erwünscht

Ohne pauschalisieren zu wollen, zeigten sich Trends beim Nachwuchs, sagt Wend. Kollegen von der Berufsschule berichteten etwa, das Gros des Nachwuchses habe Probleme, pünktlich zu erscheinen. Auch gebe es eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne und Kritikfähigkeit sei kaum gegeben. "Man muss die Jungen mit Samthandschuhen anpacken, damit sie nicht hinwerfen", sagt der IHK-Prüfer. Und da stelle sich die Frage: "Wie resilient ist heutzutage ein junger Auszubildender?" Denn Kritik gehöre doch zum Lernprozess dazu, um besser zu werden und künftig im Berufsleben zu bestehen.

Im Grunde seien die Ansprüche der Berufsanfänger oder der Azubis viel zu hoch. "Die Wünsche reichen von keine Samstagsarbeit bis zu 100 Prozent Homeoffice, da stimmt doch etwas nicht", ist Wend überzeugt. Das könne kein Arbeitgeber dem Team vermitteln, dass die mit der geringsten Berufserfahrung sich die Rosinen rauspicken dürfen. Manche Privilegien müsse man sich eben erst einmal erarbeiten.

Lieber Homeoffice als Reisebüro

Es könne sich dabei aber auch um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handeln, der Nachwuchs werde verwöhnt. Passend dazu hat der Touristiker ein aktuelles Beispiel aus seinen Büros parat. Denn da habe eine 20-Jährige, nachdem sie vier Jahre im Unternehmen gefördert und ausgebildet wurde, kommentarlos gekündigt. "Wir fielen aus allen Wolken, denn es gab eine gute Zusammenarbeit", berichtet Wend. Auch die Vorgesetzte der jungen Frau wusste von nichts. Auf Nachfrage vom Chef sei die lapidare Antwort gewesen, dass sie beim neuen Arbeitgeber ganz im Homeoffice bleiben könne.

Ausbildungsniveau in Gefahr

Zudem sei er alarmiert und bemerke bei Berufsschülern oder bei manchem Nachwuchs mit Abschluss ein niedriges Wissens-Niveau, IHK nicht ausgenommen. Das deute darauf hin, dass Schüler durchgewunken werden, die noch gar nicht so weit sind. "Es kann nicht sein, dass wir das Niveau der Prüfungen nach unten anpassen, ein gewisser Qualitätsstandard muss bei Abgängern gewährleistet sein", sagt Wend. "Meine persönliche Meinung ist, dass die Prüfungen verwässert worden sind, es gibt mehr Multiple-Choice-Fragen – es hat sich alles zu Gunsten des Nachwuchses verändert".

Zu guter Letzt richtet Wend einen Appell an die Unternehmen der Branche, vermehrt selbst auszubilden. Das falle bei all dem Gejammer über Fachkräftemangel hinten runter, es bildeten zu wenig Betriebe aus.

Sabine Schreiber-Berger

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