Eine Führungskraft und ihr Ausstieg aus der Hotellerie
Vielleicht ein wichtiger Debattenbeitrag für die Branche? Im Gespräch mit Hotel vor9 schildert ein ehemaliger General Manager, der zwei Jahrzehnte lang Vier- und Fünf-Sterne-Häuser geleitet hat, warum er die Hotellerie verlassen hat. Ein Bericht über schwindende Gestaltungsspielräume, Druck durch die Eigentümer und den entscheidenden Blick in den Spiegel.

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Ein ehemaliger General Manager berichtet in einem vertraulichen Gespräch mit Hotel vor9, warum er die Hotellerie verlassen hat
Manuel Schreiber* (*Name geändert, Person ist der Redaktion bekannt) hatte es geschafft: Vom Gepäckträger bis zum General Manager internationaler Hotels in Europa und Deutschland. Rund 35 Jahre Hotellerie, davon fast 20 Jahre in leitender Funktion als General Manager. Doch vor eineinhalb Jahren zog er die Reißleine – freiwillig, aber nicht ohne inneren Konflikt. "Ich liebe diese Branche. Aber ich musste gehen, um gesund zu bleiben", sagt er rückblickend.
Der Ausstieg kam nicht über Nacht. Erste Warnsignale waren emotionale Erschöpfung und Gereiztheit – privat wie beruflich. Die Diagnose war klar: keine klinische Depression, aber auf dem besten Weg dahin. "Ich habe mich selbst in psychologische Behandlung begeben", berichtet Schreiber offen. Die Gespräche dort führten ihn zu einer Erkenntnis: Der Mensch, der einmal mit Leidenschaft Gastgeber war, erkannte sich selbst nicht mehr wieder.
Wenn wirtschaftlicher Druck das Gastgebertum verdrängt
Die Gründe für seinen Ausstieg sieht Schreiber nicht nur in persönlichen Belastungen, sondern in strukturellen Veränderungen der Branche. Die zunehmende Dominanz von Investoreninteressen – insbesondere durch die Eigentümer – habe zu einem "Owner first"-Denken geführt, das sowohl Gast als auch Mitarbeitende zunehmend aus dem Fokus dränge. "Heute geht es in vielen Häusern nur noch um Profit, Profit, Profit", so Schreiber. Dass hinter dieser Entwicklung wirtschaftlicher Druck steht, stellt er überhaupt nicht infrage. Diesen habe es in der Vergangenheit immer schon gegeben. Wohl aber den Umgang damit.
Der Druck sei in seinem Fall nicht nur ökonomisch, sondern irgendwann auch subtil-psychologisch geworden. Rückblickend spricht Schreiber von "destabilisierenden Methoden" durch Vorgesetzte – etwa kleinlichen Kontrollfragen oder unterschwelligen persönlichen Kommentaren.
Ein konkretes Schlüsselerlebnis brachte schließlich die Wende. Nach einer Übernahme des Hotels durch den Eigentümer sollte Schreiber als Direktor nur Wochen später fast ein Viertel der Belegschaft kündigen – aus dem Nichts, ohne nachvollziehbare Begründung. "Wir hatten gerade erst die Corona-Zeit gemeinsam überstanden und fast das ganze Team gehalten. Und dann kam plötzlich diese Ansage, obwohl die wirtschaftliche Situation des Hauses durchaus gut war." Der Moment der Entscheidung kam, als er sich am Morgen nach dem einschneidenden Gespräch im Spiegel betrachtete und die Frage stellte: "Willst du das wirklich?" Die Antwort war ein klares Nein.
Außerhalb der Hotellerie weniger Gehalt, aber mehr Lebensqualität
Schreiber ließ sich zunächst krankschreiben, kündigte nach vier Monaten selbst – trotz bestehendem Anspruch auf Weiterzahlung und trotz zahlreicher Hinweise, die Situation doch einfach "auszusitzen". Warum? "Weil ich ehrlich bleiben wollte – zu mir selbst." Und auch, weil er keine Lust mehr hatte, sich erneut in einem System zu bewegen, in dem für die angestellten Manager "Political Speech" wichtiger als die Wahrheit ist. "Als Führungskraft darfst und sollst du keine Schwäche zeigen. Vordergründig wirst du zwar aufgefordert, die Wahrheit zu sagen. Aber wenn du es dann tatsächlich tust, ist deine Karriere schnell am Ende. Und genau das hat mich krank gemacht."
Heute arbeitet Manuel Schreiber (im weitesten Sinne) in der Hotellerie-Zulieferbranche – mit deutlich weniger Gehalt, aber "200 Prozent mehr Lebensqualität", wie er sagt. Der Kontakt zur Branche bleibt, die Leidenschaft auch – doch die Bedingungen sind andere. Statt einer 60-Stunden-Woche, die bei ihm die Regel war, ist jetzt Feierabend um 17 Uhr. Statt ständiger Erreichbarkeit rund um die Uhr ("selbst Heiligabend wurde ich einmal mitten in der Nacht ins Hotel gerufen, weil wir einen technischen Defekt hatten"), ist heute echte Zeit für die Familie ohne Kompromisse. "Ich kaufe mir mit 40 Prozent weniger Gehalt meine Freiheit", sagt er nüchtern – aber voller Zufriedenheit.
Was bleibt: Der Blick zurück – und ein Appell an die Branche
Vermisst er etwas? Ja, sagt Schreiber. Die vielen schönen Momente im Hotel, die tollen Events und die grandiosen Locations. Aber ganz besonders die Rolle des Gastgebers – "das war immer meine Stärke und auch meine Leidenschaft". Doch genau das sei in den letzten fünf Jahren seines Berufslebens verloren gegangen. "Das, wofür ich diesen Beruf so geliebt habe und was so viele Entbehrungen wettgemacht hat, meine Rolle als erster Ansprechpartner für die Gäste, aber auch für meine Mitarbeiter, konnte ich in der Realität gar nicht mehr leben. Für die Eigentümer war das nicht mehr wichtig, die sprachen nur noch über Zahlen."
Heute blickt er mit einem gesunden Abstand und durchaus differenziert auf seine Zeit in der Hotellerie und die Branche. Wie fällt sein Rat an die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus? "Seid bitte ehrlich zu euch selbst. Wer spürt, dass er an Grenzen kommt, sollte nicht schweigen." Und an die Branche gerichtet, sagt er: "Redet weniger über Werte – und lebt sie mehr."
Ob er jemals zurückkehrt? "Sag niemals nie. Aber nur unter Bedingungen, die wirklich passen. Und dann auch aus einer neuen Position der Stärke hinaus". Bis dahin bleibt Schreiber ein Beobachter von außen – mit klarem Blick und viel Erfahrung. Vielleicht, so sagt er selbst, ist sein Ausstieg auch ein Anfang: "Ein Anfang für eine offene Diskussion über Führung, Wertschätzung und Verantwortung in der Hotellerie. In einer Branche, in der, anders als in vielen anderen Geschäftsbereichen, die Menschen wirklich das Wichtigste sind."
Pascal Brückmann
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